Planetwechsel

In zwei Wochen, am 15. Juni, werde ich meinen Fuss wieder auf Schweizer Boden setzen. In zwei Wochen werde ich in eine andere Welt zurückkehren

Für Haushaltseinkäufe werde ich in mein kleines, wendiges Autöli auf ein markiertes Migros-Parkfeld steuern (ob ich das noch kann?!) und nicht den 4x4-Offroader freestyle an den Strassenrand stellen. Dann werde ich in der Migros keiner Verkäuferin Rechenschaft ablegen müssen, warum ich dies und jenes nicht kaufen will und warum ich für jenes Produkt lieber in die Coop gehe. Ich werde vor all den Joghurts stehen und völlig überfordert sein. Ich werde mit einem schlechten Gewissen fixfertige Fajita-Fladen und Pizzateige kaufen. Und ich werde enorm teures, aber wunderschön zubereitetes Fleisch kaufen und diesen Luxus kaum fassen können. Ich werde eine Mango für rund drei Franken kaufen und den Guinea-Zeiten nachtrauern, wo ich drei Mangos für fünf Rappen erstehen konnte, weil Mangobäume mit gutem Recht als Unkraut des Landes bezeichnet werden können.
Wenn ich durch die Stadt bummle, gehe ich nur über asphaltierte oder gepflasterte Böden. Meine Schuhe bleiben unglaublich sauber! Es laufen mir keine Hühner, Ziegen, Schafe und Kühe über den Weg. Niemand wird rufen "Pooooooooorto!!!!" Unter Kindern werde ich mich nicht mehr wie eine Berühmtheit fühlen, weil auch die Freunde der Freunde der Freunde der Freunde meiner Kindergartenkinder wissen, dass ich, diese weisse Kindergärtnerin, Madame Evelyne bin.
Wenn ich zuhause ein Buch lese, werde ich nicht von Kindern unterbrochen, die pausenlos an das Metalltor des Hofes klopfen und dazu lauthals "GONG GONG! Madame Aissatou? Gong Gong! Ouvrez la porte! Gong Gong!" rufen und nicht eher Ruhe geben, als dass ich ans Tor gehe, um ihnen zu öffnen, damit sie bei uns Fussball spielen, "sandele" oder ausmalen dürfen resp. nicht aufhören, bis ich offiziell sagen gehe, dass sie heute nicht spielen kommen dürfen. Meine Nachbarn in der Schweiz werden, wenn es hoch kommt, dreimal läuten und selbst wenn sie wissen, dass ich eigentlich da bin, spätestens dann aufgeben; weil sie davon ausgehen, dass ich wohl meine Gründe habe, nicht zu öffnen. Für den Guiner gibt es keinen Grund, wieso ich nicht an die Tür gehe - weder eine Dusche, noch ein Mittagsschlaf, noch sonst irgendetwas. 
Ich werde in der Schweiz mit dem Staubsauger einmal durchs Haus fahren und der eingesaugte Staub ist ein für alle Mal beseitigt - wie wunderbar! Ich werde in der Küche auch mal etwas stehen lassen können, ohne dass gleich eine Ameisenkolonie angerannt kommt, Kakerlaken zu befürchten sind oder Mäuse sich daran bereichern. Wasser werde ich dann endlich wieder direkt ab dem Hahn trinken können und per Knopfdruck fliesst hochwertiger Kaffee in die Tasse. Dem Néscafé werde ich nach diesem Jahr nicht mehr nachtrauern!
Ich werde mich an den vielen Blumen im Garten meiner Mutter freuen und gleichzeitig unseren Dschungelgarten voller Palmen, Moringa-, Mango-, Mandarinen- und Zitronenbäume vermissen.
Denn Sonntag werde ich als Ruhetag- oder Erlebnistag nutzen und nicht zur Unterhaltung und Freizeitbeschäftigung auf den grossen Wochenmarkt gehen.
Die Abende werde ich nicht mehr mangels Freizeitangebote zuhause verbringen, sondern im Kino, in einer Bar oder am See.
Ich werde von einer Freizeitbeschäftigung zur nächsten, von einem Termin zum nächsten hetzen und es vermissen, spontan in den Tag leben zu können und es mit den Zeiten nicht so eng sehen zu müssen.