Arme Reiche und reiche Arme

Leben die Menschen hier in Armut? Hungern sie? Leiden sie unter Krankheiten, die medizinisch gesehen leicht behandelbar wären? Kriegen alle Kinder und Jugendlichen eine solide Grundbildung? Diese Fragen stellte ich mir vor meinem Einsatz und sie werden mir hie und da von euch gestellt. Hier einige konkrete Erlebnisse und Beobachtungen, die einen ersten Einblick ins Thema verschaffen:

  • Immer wieder gibt es Kinder, die kein Znüni in den Kindergarten mitnehmen, weil das Geld für diesen Zwischenimbiss nicht reicht. Oder aber das Znüni ersetzt quasi eine Hauptmahlzeit –  direkt vor und nach dem Kindergarten kriegt das Kind nichts zu essen.
  • Eine Frau mit einer (harmlos) blutenden Wunde bittet mich auf der Strasse um Salbe und ein Pflaster.
  • Milchpulver können sich viele Einheimische nicht leisten.
  • Selten gehen alle Kinder einer Familie zur Schule. Während bei den einen Kindern in Schulbildung investiert wird, reicht das Geld für die Geschwister nicht oder sie müssen zuhause arbeiten.
  • Unser Nachbarsjunge hat eine Missbildung am Arm und röchelt rund um die Uhr. Könnte man ihn in einem guten Spital (hier nicht existent…) heilen?
  • Ein Junge im Kindergarten hat am rechten Daumen zwei Fingerbeeren.
  • Eine Nachbarin fragt, ob sie unser altes, ausrangiertes „Schüfeli und Bäseli“ haben darf, das bei uns schon der Entsorgung zum Opfer gefallen wäre.
  • Ein Junge trinkt seinen Znünisaft seit anfangs Schuljahr aus der gleichen alten Petflasche (die schon damals alt war). Eines Tages kommt er eine halbe Stunde nach Kindergartenschluss nochmals zurück, weil er den Deckel verloren hat, um diesen zu suchen.
  • Ein anderer Junge hat für den Kindergarten einen rosaroten Mädchenrucksack. Hauptsache Rucksack. Denn auch guineische Kinder machen theoretisch einen klaren Unterschied zwischen Mädchen- und Knabenklamotten.  
  • Zu den einzigen Spielsachen, die ein Kind besitzt gehören ein Pneu mit Stöckchen oder eine Sardinenbüchse mit einem befestigten Stoffband, die so als Auto hinterher gezogen wird.






Alhadj, der Junge mit dem roten T-Shirt, kann seinen Arm kaum gebrauchen und röchelt stark.

Mamadou hat zwei Fingerbeeren - nichts Schlimmes, aber ein "Schönheitsfehler", der bei uns problemlos behoben werden könnte.

 Das Leben hier hat viele Parallelen zum Leben auf dem Campingplatz: Kochen über dem Feuer, draussen essen, laute Nachbarn, bei Dunkelheit am Feuer reden, spielen, zöpfeln usw., keine Fensterscheiben, also Grillengezirpe oder Regengeprassel, Geschirr sammeln und anderswo waschen gehen (hier am Fluss), immer barfuss oder in Flipflops unterwegs sein. Klingt idyllisch. Doch würden wir Wochen, Monate oder Jahre auf dem Campingplatz in den Subtropen verbringen, würden wir vielleicht auch anderen und mehr Krankheiten zum Opfer fallen. Und wenn dann spezifische Medikamente (fernab von Antibiotika, Malariabehandlung und Wurmbehandlung) fehlen und es dem Spital an allen Ecken und Enden an Material und teilweise Know-How mangelt, ist auch hier das ach-so-schöne, naturverbundene Campingleben nicht zu idealisieren, sondern in notwendigen Bereichen des Lebens (Krankheitsprävention, Medizin, Bildung, etc.) Fortschritt zu fördern.




Es scheint, dass die materielle Armut viele Menschen hier betrifft. Die Schere zwischen reich und arm hier in der Provinz ist klein. Wohl ist es das, was die Kriminalitätsrate im Vergleich mit anderen Drittweltländern relativ klein hält.
Nun, Guinea verfügt über eine reichhaltige Natur. Auch jetzt in der Trockenzeit gibt es genügend Früchte und Gemüse, die trotz der Trockenheit gedeihen. Es gibt wenige offensichtlich ausgehungerte Menschen. Viele haben Maniok, Erdnüsse oder Bananenbäume im Garten. Jedoch leben wohl viele Menschen hier von der Hand in den Mund und viele wissen nicht, wie sie in Zukunft alle Kinder durchfuttern können. Wenn dann noch Unvorhergesehenes wie eine Krankheit dazwischen kommt, wird es knapp. Es gibt kein staatliches Sozialsystem. Dafür sind der Familienzusammenhalt und die familiäre Unterstützung ein Garant in solchen Fällen. Wer hat, der gibt; wer nicht hat, empfängt.
Ist es nicht so, dass wir uns vor allem mehr Zeit, mehr Geborgenheit und mehr Zusammenhalt wünschen? Die Guineer haben es. Sie wünschen sich vor allem mehr Geld, mehr Komfort. Verständlicherweise.

Jouez, gagnez et devenez millionaire - spielt, gewinnt, werdet Millionär. Wobei ein Guinee-Franc-Millionär umgerechnet lediglich 100 Euro besitzt... (ist aber für einen Guineer viel Geld...)