Ich bin Schweizerin!
Nun sind zweieinhalb Wochen vergangen seit meiner Landung
auf dem «Planteten Schweiz» und die einen oder anderen unter euch durfte ich
schon treffen, wo ich auch schon einzelne Anekdoten aus meiner
«Wiedereingliederung» in unserer organisierten Schweiz platzieren konnte.
Dieser Artikel ist für euch alle, denen ich dies noch nicht erzählen konnte.
Nach meiner Landung in Zürich rollten wir heimwärts. Wir rollten. Wir holperten nicht. Wie schön! Wie monoton! Wie schnell! Mir wurde
übel… Vielleicht schaute ich einfach auch zu viel links und rechts aus dem
Fenster, so überwältigt war ich von der Intensität der Farben der Landschaft.
Das saftige Grün und der stahlblaue Himmel schienen mir fast zu perfekt. Es dauerte ein paar Tage,
bis meine Augen diese Farbintensität geniessen und schön finden konnten und ich
nicht dem sanften Gelb und Braun der verdorrten Steppenlandschaft und den
vielen Palmen nachtrauerte. Was mir auch auffiel, als ich aus dem Fenster
blickte: Überall Kräne und Baugerüste. Nicht, dass in Guinea nicht gebaut wird
– im Gegenteil: Das Baugewerbe ist dort ebenfalls sehr gefragt. Denn wenn ein
rechtschaffener oder auch ein nicht ganz rechtschaffener Mann in Guinea wieder
mal eine Million beisammenhat (100 Euro), lässt er eine Mauer bauen (oder baut
sie selbst). Den nächsten grossen Zustupf investiert er in die Fortsetzung der
Mauer. So geht das über Monate oder Jahre. Viele Monate verstreichen, flüssiges
Geld wurde schon länger nicht mehr gesehen, weil es bedürftige
Familienangehörige erbeten haben. Aber es kommt der Tag, an dem er die
Geldsumme für den Dachstuhl beisammenhat. Und wenn der, von dem die Rede ist,
das Glück hat und noch vor seinem Lebensende ein Wellblech draufmontieren
lassen kann, dann hat er statt eines vollen Bankkontos ein fertig gebautes
Haus. Weil, liebe Leserin und lieber Leser, langer Rede kurzer Sinn: Bankkonto
ist für die allermeisten Guineer ein Fremdwort. Und was ich eeeeeeeiiiiiiigentlich
sagen wollte, ist, dass all diese «Bankkontohäuser» ohne Gerüst und ohne Kran
gebaut werden. So ein langer Abschnitt, um damit nur auszusagen, dass ich neun
Monate kein Baugerüst und keinen Kran sah, ist tatsächlich ziemlich guineisch.
Viele Worte, wenig Inhalt… Wo sind wir also? Ach ja, auf der A1! Mittlerweile
auf einer Raststätte einen Fahrerwechsel vorgenommen und wieder losgefahren.
Doch da gibt’s vor der Autobahnauffahrt einen komischen Stau. Einer will nicht
fahren. Meine Schwester und meine Mutter regen sich auf, unternehmen aber erst
mal nichts. Für mich ist klar: Hupen!!! Der muss doch unmissverständlich
wissen, dass wir da durchwollen! Aber offenbar ist man ja in der Schweiz etwas
zurückhaltender im Hupen…
Angekommen zuhause, war nach diesen neun Monaten noch vieles
sehr bekannt und gewohnt! Meine Familie wiederzusehen war, wie wenn ich nie
weggewesen wäre. Auch das Haus und die Umgebung war sehr vertraut. Klar, im
ersten Moment war es speziell, das Wasser direkt ab Hahn zu trinken ohne zu
filtern oder eine warme Dusche zu nehmen und fürs Haarewaschen dank dem grossen
Leitungsdruck nur drei Minuten aufzuwenden. Aber dies ist in der Schweiz so
normal, dass ich mich nach dieser neunmonatigen Schweiz-Pause aufgrund der
vorherigen dreihundertfünf Monate meines Lebens in diesem Haus innerhalb von nullkommafünf
Monaten sehr schnell wieder an diesen Luxus gewöhnt habe. Leider. Manches
vergisst der Mensch schnell. Vieles nimmt er für selbstverständlich. Aber ich will
nicht vergessen! Und ich will nicht für selbstverständlich nehmen! Dankbarkeit und
Genügsamkeit heissen die Schlüssel dazu.
Um sieben Uhr abends hat mein Handy nur noch 20% Akku.
Schnell noch aufladen, bevor es zu spät ist!!! Moment? Zu spät gibt’s ja gar
nicht! Erstens geht die Sonne nicht schon um 19.30 Uhr unter wie das ganze Jahr
in Guinea und zweitens auch wenn: das wäre sch**egal… wir haben ja vierundzwandzig
Stunden lang Strom und nicht Solarstrom, so dass wir Strom sparen müssten,
sobald die Sonne untergeht!
In den ersten zwei Tagen sass ich total sechs Mal hinter das
Autosteuer. Sechs Mal das gleiche Szenario: «Mensch! Was soll dieses
Scheiss-Piepsen?????? Ach ja genau!! Ich muss mich angurten…!» (Warum wir uns in Guinea nicht angegurtet haben? Gute
Frage! Weil es unbequem ist, wenn es so holpert vielleicht?). Beim siebten Mal
wars wieder drin. Weiterhin schlummerte in mir das Bedürfnis, wie in Guinea
durch die Gegend zu fahren und zu hupen. Kurve rechts – hupen – Kurve links –
hupen. Meine entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer müssen doch wissen, dass ich
komme, dass sie Platz machen sollen und nicht auf die Idee kommen dürfen, die
zu Kurve schneiden. Obschon ich diesem Bedürfnis in unbewohntem Gebiet zwischen
Ried und Galmiz nachgab, hatte meine Schwester für solche Gefühlsausbrüche kein
Verständnis und schämte sich vor Fuchs und Hase.
Am zweiten Tag in der Schweiz durfte ich einer Einladung meiner
Freundin an ihre Hochzeit in Utzenstorf folgen. Auf keinen Fall wollte ich Stress
haben. Auf keinen Fall wollte ich zu spät kommen. Schweizer Hochzeiten beginnen
schliesslich pünktlich. Auf keinen Fall wollte ich keinen Parkplatz finden.
Also kalkulierte ich lieber etwas zu viel Zeit ein. So kam es, dass ich gemütlich
in Utzentorf einfuhr, die Qual der Wahl unter den besten Parkplätzen hatte und
eine Stunde lang auf den Beginn der Zeremonie warten musste. (Fast) Niemand kam
pünktlicher als ich – ich, die neun Monate im wohl afrikanischsten aller Länder
verbracht habe. Die Schweizerin in mir lebt noch!
Farbenpracht in der Schweiz |
Matte Farben während der Trockenzeit in Guinea |
Baustelle à la Guinée |