Perfekt imperfekte Ferien

Ich schreibe jetzt gleich meinen Lieblingsblogartikel. Über Strandferien. STRANDferien im eigentlichen Sinn des Wortes. Strandferien ohne Sightseeing, ohne Shopping, ohne Ausgang oder Abendprogramm, ohne spezifischen Freizeitmöglichkeiten. Strandferien ausschliesslich am Strand. Und doch kann ich kaum genug darüber schreiben. Sensation reiht sich an Sensation. Also: Nimm dir genug Zeit für diesen langen Strandferienartikel.
Angefangen hat alles letzten Samstag mit einer sechsstündigen Fahrt ans Meer. Die Strasse zu unserem Ferienort verbindet unsere „Stadt“ mit der Hauptstadt. Unverkennbar eine wichtige Verkehrsachse, nicht wahr?!


Die erste grosse Sensation: Es gibt noch ein anderes, mir bisher verborgenes Guinea! Ein Guinea mit TEERSTRASSEN!!! 


Wie anders dieses Land doch gleich daherkommt. Entwickelter. Aber auch in der Küstenregion, wo es wegen Rohstoffexport bessere Strassen gibt, musste ich aufgrund der folgenden Tatsachen einsehen, dass auch Teerstrassen nicht alles automatisch fortschrittlicher machen: Angekommen in einem wunderbar gelegenen Hotel mit vielen kleinen Rundhüttenbungalows bezogen Müllers, Vögelis, Noémie, Anna und ich eine Rundhütte mit 4 Doppelzimmern mit je einem kleinen Bad. In der Mitte der Rundhütte gibt es einen Salon mit vielen Sofas. Verlässt man die Rundhütte und macht rund 30 Schritte, steht man am Meer. Perfekt! 





Imperfekt dafür die Erkenntnis, dass das fliessende Wasser noch abgestellt ist. Dies änderte sich mit einigen fachmännischen Handgriffen von Müllers und Vögelis Familienoberhäupter schnell. Imperfekt auch die Feststellung, dass das Handy erst ab ungefähr 19 Uhr geladen werden kann und man bis dahin im Zimmer im Dunkeln tappt, weil die Abenddämmerung schon da ist, aber der Strom noch nicht. Dieser Umstand lässt sich nicht mit fachmännischen Handgriffen ändern, dies hängt von der Betriebszeit des Generators ab. Imperfekt auch, dass, sobald das Wasser fliesst, dafür unser WC verstopfte. Fachmann Michi als Sanitär behob das Problem im Nu eigenhändig.
Perfekt ein Abendessen am eigens für uns platzierten Tisch zwischen Rundhütte und Meer. Der private Tisch wurde scheinbar am Tag unserer Ankunft beim Schreiner noch schnell in Auftrag gegeben. Es hiess „der Tisch kommt dann noch“ und als er dann kam, sah er nigelnagelneu und weder geölt noch lackiert aus, weil die Zeit zum Trocknen wohl nicht ausgereicht hätte… Imperfekt dann das kalte Poulet und die kalten Pommes. Imperfekt, dass dann wieder kein Wasser mehr floss. Stellte sich heraus, dass die Hauptleitung für die ganze Rundhüttenanlage ein Leck hatte. Fachmann Michi und ein hoteleigener Allrounder-Fachmann (oder anders gesagt ein Alles-ein-bisschen-aber-nichts-so-richtig-Fachmann) lösten das Problem gemeinsam.
Am nächsten Morgen assen wir das Frühstück mit Meerblick, wonach wir im Meer badeten und später beim extremen Ebbephänomen im Schlamm grüselten. Der ganze schöne Strand und das Meer hatten wir fast für uns alleine. 











Dann stand der Silvesterabend vor der Tür, den wir mit Wunderkerzen, Knallteufeln usw. feierten. Schaumwein war nicht vorhanden und somit kein Thema. Eine Alternative war gefragt. So habe ich, wie hier in Guinea üblich, Orangen geschält, und den Deckel entfernt, damit man sie ausschlürfen kann. Gemäss den Guineern essen nur Affen Orangen. Menschen trinken sie. Also haben wir mit Orangen angestossen.


Nur eine einzige Gruppe von Guineern im Hotel hat um 00:00 Uhr kleine Feuerwerke abgeworfen, ansonsten war tote Hose. Anders sah es am 1. Januar aus. Mitten am helllichten Tag stieg am Strand eine Party mit mässig guter, guineeischer Musik. Vom Meer aus den Jungen beim Tanzen zuzusehen war eine unterhaltsame Angelegenheit. 
Die restlichen Tage verbrachten wir noch damit, zu baden, chillen, lesen, Musik hören, sünnele, Bändelichnüpfe, sandele, reden, blödeln und Strandspaziergänge mit neugierigen guineeischen Kindern wörtlich dicht auf den Fersen.
Einen Ferientag opferten wir und nahmen eine zweistündige Hinfahrt und eine zweistündige Rückfahrt auf uns, nur um in einer grösseren Stadt einen Supermarkt mit echten, auf Google registrierten fixen Öffnungszeiten aufzusuchen, in dem wir während einer halben Stunde den Einkaufswagen mit Qualtitäts-oder Luxusware aus aller Welt füllten. Nach diesem halbstündigen Einkauf in diesem grossen(!) Supermarkt (in der Grösse einer kleinen(!) Coop-Filiale) fuhren wir mit wertvoller Fracht zwei Stunden retour zum Hotel: mit Raffaellos, Smarties, Milkyways, Schokowürfel zum Backen, echtem Nutella, Speculoos-Brotaufstrich, Dove-Duschmittel, Abwaschschwämmen und Rattengift.
Jetzt komme ich zu einem ergiebigem Thema: dem Hotelservice. Folgendes sind alles wahre Begebenheiten:
Grundsätzlich scheint Service nur auf Abruf stattzufinden. Zimmerservice ist inexistent. Wer eine saubere Rundhütte will, greift selber zum Besen. Braucht man WC-Papier-Nachschub, tut man sich gut daran, den Chef persönlich darum zu bitten. Dieser bringt im besten Fall eine Stunde später eine einzelne mickrige Rolle. Verlangt man Nachschub für die ganze Rundhütte, geht’s länger, weil wohl irgendwo im nächstgrösseren Ort WC-Papier in akzeptablen Mengen gesucht werden muss.
Spiegel gibts in der Rundhütte nicht. Wie rasiert MANN sich da? 


Genauso wenig existent wie der Zimmerservice ist eine Menükarte. Brauchts auch nicht, wenn man die Wahl zwischen zwei Menus hat: Pommes mit Hühnchen oder Pommes mit Fisch. Variationen gibt’s durchaus: Mal warm serviert, mal kalt serviert, mal lecker mariniert und knusprig, mal weniger. 


Von Dessert ist ebenso wenig die Rede wie von an den Tisch servierte Getränke. Darum kümmert sich der Gast selber, schliesslich hats in der Rundhütte einen Wasserfilter. Ungekühltes, selber organisiertes Wasser also. Da lässt schon nur der Gedanke an ein eisgekühltes Cola in der prallen Nachmittagssonne das Herz höher schlagen. Das ist das höchste der Gefühle! Es gibt jedoch keine Bar, wo man das schnell mal holen kann. Man wendet sich an den Koch und wenn man Glück hat, ist er gerade auffindbar und hat tatsächlich auch genug Colas im Kühlschrank. Im nächstgelegenen Dorf lässt sich kein Restaurant finden, weil es ein guineeisches Dorf wie viele andere ist: das typische Afrikanerdorf. Ein Besucher aus der Schweiz hat an Weihnachten gesagt: „Ich habe nicht gedacht, dass es das typische Afrikanerdorf heute noch gibt. Aber es ist kein Klischee. Es gibt’s tatsächlich immer noch!“ Richtig erkannt!
Nun, warum betone ich den mangelnden Service so besonders? Weil es meiner Meinung nach sehr teure Imperfektion ist: Pro Zimmer und Nacht zahlten wir 40 Euro. Für guineeische Verhältnisse enorm teuer! 
Dann die Rückfahrt: Die Strassen sind geteert bis zum grossen Staudamm. Da wird neuerdings Strom im grossen Stil produziert. Wer baut diesen Staudamm? Die Chinesen. Die Chinesen sind hier in Guinea sehr präsent: Sie bauen Staudämme und bewirtschaften die zahlreichen Bauxit-Minen. Die Chinesen leiten, die Guineer führen aus. Schon mehrmals wurden wir gefragt, ob wir aus China kommen. Tja, in den Augen eines Guineers ist weiss halt einfach weiss. Schlitzaugen hin oder her. Jedenfalls sind entsprechend die Strassen in bestem Zustand bis zu dem von Chinesen bewirtschafteten Projekt, damit Lastwagen gut hinkommen. Nach dem Staudamm ist dann Schluss mit guten Strassen. Und wir mussten bei der Dammbaustelle eine Viertelstunde warten, weil gerade eine Dynamitsprengung im Gang war. Danach bretterten wir weiter über Schotterpisten und waren müde von dieser langen Fahrt. Die Kinder schliefen und liessen sich selbst dann nicht am Schlaf hindern, wenn sie bei Schlaglöchern durch die Luft gewirbelt wurden. Hingegen hielt der Pneu nicht allen Strapazen stand: Ein Pneuwechsel war angesagt... Dann hatten wir noch blinde Passagiere, die hinten aufs Auto aufsprangen und von der Mitfahrgelegenheit profitierten.













So entspannend die Ferien waren, so verspannend war die Rückfahrt. Ich brauch Erholung von den Ferien…